Guten Morgen!

Guten Morgen!

Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
5. Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
[Jes 50,4]

Beschenkt & Aufgeweckt
Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.

Allrounder
Der Mensch ist ein Wunderwerk. Die Zunge spielt dabei eine besondere Rolle und beeindruckt als faszinierendes Organ. Sie kann kauen, saugen, schlucken, schmecken, mahlen, pressen, speicheln, babbeln, jodeln, tasten, schnalzen, hilft beim Sprechen, Singen, Pfeifen und Trällern. Sportlich talentiert, man könnte fast sagen ein sehr beweglicher kleiner Muskelprotz, der da gut versteckt und bewacht zwischen den Kiefern und „Löwen“-Zähnen zu Hause ist.

Bewegungstalent
Manche Akrobaten verbringen wahre Wunder, aber die Zunge ist ihnen allen überlegen – ein echtes Bewegungstalent. Das liegt in ihrer Anatomie begründet. Die Anordnung ihrer Muskelfasern im Körper ist einmalig. Gleich in drei Richtungen verlaufen sie von vorne nach hinten, vom Rand zur Mitte und von oben nach unten. Dadurch kann nicht nur das Kind im Konfliktfall die Zunge verlängern und seinem unsympathischen Gegenüber rausstrecken, bei Einsicht der Tat aber das Bewegungstalent sofort wieder in die Mundhöhle zurückbefördern. Kein Muskel im Körper lässt sich so wie die Zunge verkürzen und v.a. aktiv verlängern. Heben und senken, verbiegen, vorschieben und zurückziehen, sich runden oder vertiefen, Rillen bilden, die Lage verändern – wie gesagt ein wahres Bewegungstalent.

Talentierte Verwandtschaft
Ein kleiner Blick hinüber auf unsere Mitgeschöpfe im Tierreich macht deutlich, dass auch sie im Blick auf die Zunge ebenso begnadete Wesen sind. Das träge Chamäleon überlebt nur dank einer flinken Schleuderzunge. Blitzschnell schießt das Teil heraus, ohne dass sich der Rest des Tieres auch nur einen Millimeter bewegt und ich frage mich wo parkst du das lange Teil eigentlich in deiner Mundhöhle? Nun wissen wir, dass sich mit der Zunge nicht nur Fliegen fangen lassen, sondern auch Menschen. „Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt; wer sie liebt, wird von ihrer Frucht essen.“ (Spr 18,21) Allem Anschein nach ist es die beeindruckende Wirkung dieses außergewöhnlichen Muskels, der uns immer wieder in Staunen versetzt.

Rekordhalter beim Thema Zungenlänge ist allerdings die kleine tropische Fledermaus Anoura fistulata. Im Verhältnis zur Körpergröße (6 cm) ist ihre Zunge anderthalbmal so lang wie ihr Körper. Es ist übrigens auch die einzige Zunge, die nicht im Mundraum, sondern zwischen Herz und Brustbein zu finden ist. Beim Ameisenbär misst die Zunge 60 cm, die in der Minute bis zu 160x aus seinem Maul heraus fliegen kann, um Ameisen zu schlecken. Die fleißigen Vielbeiner werden sicherlich nicht kampflos das Feld aufgeben und so muss sich die Zunge des Jägers sicher anfühlen, als ob man gerade eben kräftig auf eine Chilischote gebissen hat. Eine Giraffe kann sich mit ihrer lila 50cm langen Zunge das Gesicht ablecken. Schlangen können mit ihrer Zunge riechen und Beutetiere aufspüren. Die schwerste Zunge schwimmt allerdings im Wasser und gehört mit bis zu 4 Tonnen dem Blauwal. Schwerer als ein Elefant. Also jeder der meint, er habe eine schwere Zunge, der war noch nicht in der Seelsorge mit einem Blauwal unterwegs.

Die Außergewöhnlichste unter den Außergewöhnlichen
Die außergewöhnlichste Zunge ist jedoch die des Menschen. Gott der Herr hat auch Dir und mir eine Zunge gegeben. Die Zunge ist ein Geschenk Gottes. Wir können uns zwar damit nicht das Gesicht abschlecken mit der Ausnahme von Recordhalterin Gerkary Blequett (Florida) mit 11,4 cm Länge, aber sie macht uns sprachfähig. Fähig zur Kommunikation durch Sprache und damit beziehungsfähig.

Eine Zunge von Lehrlingen (Limmudim)
Das Besondere der Zunge, um die es hier in Jesaja 50 geht, ist nicht die Länge. Es geht um eine Zunge von Limmudim, wie es in der hebräischen Sprache heißt, eine Zunge von Lehrlingen. Dahinter steckt das hebräische Verb lamad = üben, einüben, gewöhnen, lehren, also eine darin geübte, gewöhnte Zunge mit den (Jaef) den Matten/Erschöpften zu reden. „Die Tatsache, dass die Menschen mit zwei Augen und zwei Ohren, aber nur mit einem Mund [bzw. einer Zunge] geboren werden, lässt darauf schließen, dass sie zweimal so viel sehen und hören als reden sollten.“ (M. de Sévigné)

Die Geübte
Eine geübte Zunge weiß v.a. wann sie redet. Zur richtigen Zeit. Das heißt, es handelt sich um eine Zunge, die warten kann. Wie redet man denn mit ermüdeten Menschen? Erst mal gar nicht so viel, denn das macht noch müder. Der Schlüssel zum Reden ist das Hören. Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Wer nicht hinhört hat auch nichts zu reden. Ohne ein offenes Ohr wirst Du immer an Menschen vorbeireden. „Solange man selbst redet, erfährt man nichts.“ (M.v.E.-Eschenbach)

Zuhören oder Hinhören
Es gibt einen feinen, aber wesentlichen Unterschied im Hören, der sich auch in unserer Sprache ausdrückt. Wir können zuhören oder hinhören. Hören und dabei zu-machen, dicht machen oder empfangsbereit hören und uns dabei auf den anderen hinbewegen. Hin-Hören. Das Hören gleicht einem komplexen Verbindungsakt. Ein hinhörendes Ohr sucht im letzten Grund den Herzenskontakt und nimmt Verbindung auf zum Herz des anderen. Das geübte Ohr ist ein Ohr, das mehrspurig aufnimmt. Es weiß, dass es beim Hinhören nicht darum geht zu warten, bis der andere endlich fertig ist mit Reden, um dann endlich die Zunge wie einen hippeligen Hund von der Leine zu lassen, um die eigenen Bedürfnisse loszuwerden, Befindlichkeiten abzuladen und das Jagdfieber zu stillen. Ein geschultes Ohr, zeigt der Zunge was und wann sie reden soll. Ein geschultes Ohr verzichtet auf gutgemeinte Lösungen. Das klärt die Zunge. Und die muss warten lernen auf die Impulse die das Ohr weiterleitet. Das Ohr des Schülers Jesu ist ein Ohr, dass die Zunge beherrscht. Die Zunge kann viel Gutes tun aber auch relativ schnell eine Menge Schaden anrichten. Der englische Staatsmann Sir Thomas Morus sagte einmal: „In der Einsamkeit müssen wir unsere Gedanken überwachen, in der Familie unsere Launen und in Gesellschaft unsere Zungen.“ Das geübte Ohr ist der stille Wächter der Zunge. „Herr, wache über meine Zunge, stell einen Posten ans Tor meiner Lippen!“ (Psalm 141)

In alle Richtungen
Das Ohr des Jüngers ist ein geübtes Ohr, dass in alle Richtungen ausgerichtet ist. Zum einen fragt es zuerst und grundlegend nach dem Willen Gottes – wann immer, wo immer und wie immer ER in unser Leben hineinredet. Und dieses trainierte Ohr hört auf das, was ihm im Alltag z.B. im erschöpften Menschen begegnet. Mund und Augen können wir schließen. Das Ohr hört ständig. Manchen Krach muss es ertragen. Manchen Schrei verkraften. Manches Gebrüll aushalten. Zu Hause aber wird das Ohr des Jüngers immer da sein, wo es die Stimme des guten Hirten wahrnimmt. Ein Jünger Jesu hört immer als Lernender und Dienender. Neues aneignen und wo es notwendig wird zu teilen, gehört daher ein Leben lang zur DNA eines Jüngers.

Müde Maus
Eine wesentliche Entdeckung in diesem alten Jesajatext liegt darin, dass wir alle müde werden. Auch die Nachteulen. Wir alle sind Menschen, die immer wieder aufgeweckt werden müssen. Das bedeutet in geistlicher Hinsicht, dass auch die Koryphäen mit ungebremster Schaffermentalität, die mit üppig Glaubenserfahrung und übernatürlicher Kraft ausgestatteten Superhelden es aus eigener Kraft nicht verhindern können, müde und matt auf ihrer Reise zu werden.

Klingelingeling
Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Wer aufgeweckt werden muss, dem werden die Sinne geschärft. Aufgeweckte Menschen erkennt man an ihrer Achtsamkeit bzw. ihrem wachen Geist. Manchmal sind es jedoch auch bestimmte Lebensbereiche, in denen wir einfach verschlafen haben auf unseren Schöpfer zu hören. Hier braucht es das Ohr des Herzens, das unsichtbare Sinnesorgan, das in den vielen Impulsen und Aufmerksamkeitsanfragen Gottes Reden heraushört. Gott selber weckt auf. Die Müden und Erschöpften brauchen erst einmal Ruhe. Alles hat seine Zeit. Aber dann werden uns immer wieder auch Zeiten des Aufwachsens geschenkt, Zeiten in denen der Einzelne aber auch ganze Gesellschaften aus ihrer Narkose der Gottvergessenheit aufwachen, dass auch sie hören, was dran ist. Manchmal tut Gott das ganz leise, ab und an mit einem ordentlichen Paukenschlag.

Unser Status ist der eines Schülers, eines Lernenden. Lernende Menschen lassen sich wecken, inspirieren, wachrütteln, herausfordern wenn es Zeit ist nach Müdigkeit und Betäubung auch wieder aufzustehen und in Bewegung zu kommen. Sie lassen sich wecken um veraltete Systeme, unbeweglich gewordene Kulturen zu verändern. Eingeschlafene Verhaltensweisen neu zu beleben, z.B. sich aus Gebetsmüdigkeit aufwecken zu lassen, wecken lassen für leidenschaftliches Gebet, oder sich aus einer vielleicht gemütlichen, aber ermüdeten Frömmigkeit herausholen zu lassen hin zu einer leidenschaftlichen Nachfolge, raus aus der Komfortzone.

Guten Morgen!

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