Sehen & gesehen werden

Impuls zur Jahreslosung!

Sehen & gesehen werden

Der Achtsame

Da nannte sie (Hagar) den Namen des HERRN, der mit ihr geredet hatte: Du bist „EL ROI“ [der Gott des Schauens]; denn sie sagte: „Habe ich hier nach dem geschaut, der nach mir schaut?“ (1Mose16,13 Jerusalemer Bibel)

Eine Schau

Wer wissen will was die Nachbarn und Freunde so anstellen, muss heute nicht mehr lange nachfragen, sondern schaut sich bei WhatsApp im Status um und klickt sich dann weiter durch die sozialen Plattformen. Die, die sich besonders präsent und gut in Szene setzen, kennen wir unter dem Namen Influencer. Sie haben ihre Follower von denen sie intensiv beobachtet werden. Eine entscheidende Frage leitet an dieser Stelle menschliches Verhalten: Was bringt Ansehen in mein Leben? Was muss ich tun, um gesehen zu werden? Schließlich ist heute jeder selbst verantwortlich für den persönlichen Markt- und Unterhaltungswert.

Im Abseits

Kommt nicht oft vor, dass 3 Religionen auf ein und dieselbe Geschichte hören, aber diese Geschichte mit Abram & Sarai hat ihre zahlreichen Follower gefunden. Grund genug aufmerksam hinzuhören. In der Nebenrolle erzählt die Story von einer ägyptischen „Putzfrau“, angestellt bei jenem schwerreichen Patriarchen, der nicht so richtig weiß, wohin er eigentlich gehört und seiner unglücklichen Frau, der etwas Entscheidendes zum Glück fehlt: Nachwuchs. Die Sklavin Hagar putzt für Sarai das WC, räumt ihre JAKO-O Kataloge auf, wäscht ihre Wäsche, tränkt und füttert das Vieh. Klar, sie hat weder Insta noch taucht sie irgendwo auf einer Plattform auf. Sie fliegt irgendwo unter dem Radar der Gesellschaft. Manche Fußballbosse oder Tennisgrößen gehen für einige Zeit sogar ins Gefängnis, manche vergrößern gewisse Körperteile, manche springen aus dem Weltall, andere randalieren, manche Promis flüchten in Alkohol- und Drogenexzesse, um gesehen zu werden und berühmt zu bleiben. Insgesamt sind das alles anstrengende Manöver, nur um nicht aus dem Blickfeld einer immer schneller werdenden aufmerksamkeitshaschenden Gesellschaft zu verschwinden. Diese Frau wurde wie so viele un-erhörte und un-gesehene Menschen von der Öffentlichkeit schlichtweg nicht wahrgenommen. Das, was dieser Frau bis dahin einen Wert gab, war ihre Arbeitskraft und ihr Körper.

Haben oder nicht haben

An diesem wunden Punkt des Habens und Nichthabens entsteht der Konflikt und das erzählt diese alte Geschichte schonungslos bis heute: Jeder Mensch hat etwas und jedem Menschen fehlt etwas zum Leben. Mit gegebenen Ressourcen und Defiziten gekonnt umzugehen, da braucht es schon ein gutes Maß Ausgeglichenheit. Kommt selten vor. Hier nicht. Sarai war reich an Verheißung, Besitz, Einfluß, Macht, Ehre, Lebenszeit und Neid aber arm an Hoffnung, Nachwuchs und Dankbarkeit. Hagar war arm an Verheißung, Besitz und Ansehen aber reich im Blick auf die Gabe Kinder zur Welt zu bringen. Die Paare, die Kinder geschenkt bekamen, konnten damals ohne öffentliches Bildungssystem und Google das gut gepflegte Know how, den sinnstiftenden Glauben, die tragende Kultur, Tradition und Weisheit der Familiengeschichte an den Nachwuchs weitergegeben. Die gesammelten Werte gingen nicht verloren und das bedeutete Zukunft. Die Familie lebte im Nachwuchs weiter. Das hatte enormen Wert in Zeiten ohne die Interkulturalität von heutigem Maß. Ohne Kids wurde im Ernstfall eine ganze Familienkultur mit all ihren Werten gelöscht. Darin lag die Tragik der Kinderlosigkeit.

Gebt mir einen Daumen hoch

Wer damals als Frau Ansehen wollte, hat nicht ein paar stylische Fotos von sich und seinem Müsli hochgeladen, sondern hat sich dieses Ansehen über die Geburtenrate „erarbeitet“, bzw. die eigenen Kids im Status gepostet. Sarais Status blieb leer. Jahrzehnte lang. Die Nerven lagen blank. Wer Kinder vorweisen konnte, hatte Ansehen. Wer nicht, der wurde übersehen. Bewertung besteht eben nicht nur aus einem niedlichen Daumen nach oben. Sie hat auch eine sehr schmerzliche [Ab]-Kehrseite. Kaum etwas tut der Seele so weh, wie Ablehnung, Enttäuschung und Einsamkeit. Wie viele unserer digitalen Hochglanzpinnwände und Höchstleistungen sind bis heute nichts anderes als ein Ausdruck der tiefen Sehnsucht wahrgenommen zu werden.

Das Gift der Entmutigung

Warum ist Entmutigung so schwerwiegend? Keiner ist davor geschützt. Es kann jeden treffen. Je länger das Leben reicht, um so mehr Erfahrungen dieser Art kommen hinzu. Entmutigung wiederholt sich. Leider ist sie keine einmalige Erfahrung, was ihr auch diese Schwere verleiht. Außerdem ist sie ansteckend. Wie leicht und wie schnell werden andere mit dem Virus infiziert und bekommen es ein Leben lang nicht mehr los. Davon erzählt diese Geschichte und wird an der einen oder anderen Stelle unseres Lebens plötzlich zur eigenen.

Bis die Fetzten fliegen

Der Konflikt geht in die nächste Runde. Die enttäuschte Ehefrau motiviert aus der Not heraus ihren Mann zu einer zweiten Heirat. Der Mann führt ohne zu intervenieren den Wunsch seiner Frau nach bestem Vermögen aus, zeugt erfolgreich mit der ehemaligen Hausangestellten „in der Besenkammer“ ein Kind, was den WhatsApp Status von Hagar nach wenigen Monaten schier über Nacht durch die Decke gehen lässt. Sie zeigt ihren Bauch in allen Positionen und bekommt den ersehnten Applause. Sarai (‘s Bauch) geht leer aus.

Die gefährliche Macht gekränkter Menschen

Sarai demütigte Hagar, so dass sie vor ihr floh. (1Mo16,6b) Vorsicht vor gekränkten Menschen mit entsprechendem Einfluss. Der Schritt zur Tyrannei ist hier nicht weit, denn jetzt lässt die „vergessene Auserwählte“ Sarai ihren Frust raus. Von allen enttäuscht – von sich selbst, von ihrem Mann und letztlich ihrem Schöpfer. Ob sie das Nudelholz nahm oder schlicht das Gespräch verweigerte, wird nicht gesagt. Demütigung kann sehr kreativ aussehen. Die Schwächsten bekommen es eben ab. Das Klima zwischen den beiden Frauen wurde jedenfalls so unerträglich, dass Hagar (die sicherlich einiges gewöhnt war) schließlich das Weite suchte. Sie sucht eine Oase auf. Ab in die Wüste. Aussichtsloser geht es nicht. Das verantwortliche Oberhaupt der Familie lässt es mit der Fürsorge etwas schleifen (die gestresste Ehefrau wird‘s schon richten), wodurch ein nicht unerheblicher Schaden in der Beziehungskiste entsteht. Abram, Glaubensvater ganzer Generationen, keiner von uns ist fehlerfrei, aber gab es keine lebensfreundlichere Alternative, als die eigene hochschwangere (Neben)-Frau in die Wüste zu schicken?

Kleine Entscheidungen, große Folgen

Unverantwortliche, unsichere Ehemänner, gestresste und überforderte Ehefrauen, die Geliebte in der Nebenrolle bzw. im Abseits, weil es am Ende doch zu anstrengend wird unter einem Dach als Patchwork Familie friedlich zu leben. „Mach was Du willst, aber lass mich mit Deinen Problemen in Ruhe“, heißt eine beliebte, aber kurzsichtige Lösungsstrategie. Wenn es nur eine alte Geschichte wäre und sich das Dilemma nicht tausendfach wiederholen würde, dann wäre die Welt um einiges freundlicher. Entscheidungen haben Folgen. Nicht übernommene Verantwortung kommt wie ein Bumerang in den Alltag zurück. Ungeduld verursacht Kriminalität. Nicht warten können, bringt manches Unglück in diese Welt erst hinein. Wir brauchen wieder Menschen, die warten können. Menschen die zusammen Herausforderungen anpacken und sich helfen lassen. Menschen, die Gottes Zusagen ernst nehmen, ohne zu verzweifeln und eigenmächtig zu handeln, wenn sich die Zustände nicht so fügen wie erwünscht.

Ausweg in Ausweglosigkeit

Als die Verzweiflung nicht mehr zu überbieten ist, kommt es zu einer Begegnung der besonderen Art. Außerhalb des Kultes um Ansehen und Prestige, begegnet die Ausgestoßene und Übersehene einem Augenpaar, das so ganz anders auf sie schaut. Nicht auf ihre Arbeitskraft. Nicht auf ihren Ausschnitt. Nicht auf ihren WhatsApp Status. Dort im Abseits von Schur trifft sie den an, vor dem alle gleich sind, der das Herz des Menschen ansieht. Und die Geflüchtete spürt dieser Begegnung etwas Heiliges ab. Sie merkt, hier ist sie angesehen. Hier ist sie mehr als Arbeitskraft, begehrtes und aussortiertes Objekt. Hier wird sie durch und durch erkannt als die Persönlichkeit, die sie ist, mit der göttlichen Würde, die ihr schon vor der Geburt geschenkt wurde. Daraufhin spricht sie ihr Glaubensbekenntnis:

Ein Gott, der mich [im Chaos] sieht

Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss habe ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. Menschliche Problemstrategie sieht bis heute so aus, dass wir die Menschen die Probleme bereiten, weichklopfen, schlechtreden, ausgrenzen, in die Wüste schicken, abschieben und wegsperren.

Umkehr – Gottes Lösungsweg

Gottes Lösungsansatz verläuft andersherum. Er geht (mit uns) rein ins Problem und so motiviert er die Geflüchtete wieder zurückzugehen in den Krisenherd, dem Konflikt nicht auszuweichen vor dem sie geflohen ist. Und sie geht. In den wüstesten Zeiten ihres Lebens, erlebt diese Frau einen der schönsten Momente ihres Lebens – von Gottes Augen berührt zu werden. In seinem Augenlicht vor seinem Angesicht zu stehen. Etwas von seiner heiligen Nähe mitzubekommen, wo doch die ganze Welt sich gegen sie wendet. In dem sie von Gott angesehen wird, lernt sie ihre Entmutigung und ihre Verzweiflung bei IHM zu lassen. Sie schöpft neuen Mut. Mut ist die Kraft zur Veränderung. Veränderung die bereits in der bejahenden Einstellung zu diesem manchmal so seltsam verlaufendem Leben beginnt. Diese Gottesbegegnung macht den Unterschied aus.

Schwierigkeiten sind Möglichkeiten

Und wenn die ganze Welt in den dunklen Stunden Deines Lebens Ihre finstere Ablehnung ausspeit, so bist Du in Gottes Augen doch angesehen und willkommen, so leuchtet SEIN Angesicht über dem leider so häufig verachteten Leben und schenkt ihm eine neue unendliche Würde. Die Probleme waren damals und heute nicht von heute auf morgen beseitigt, aber durch die Begegnung mit dem Heiligen, d.h. sich den Fragen Gottes auszusetzen, IHM darauf zu antworten und SEINE Wegweisung anzunehmen, können wir bis heute lernen manche Schieflage unseres Lebens auszuhalten und darin bzw. da hindurch einen neuen Weg zum gelingenden Leben zu finden.

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