Psst!

Psst!

 

Am Ende des Jahres, in der Mitte des Lebens oder am Anfang der Krise – immer wieder mal ist es nötig Bilanz zu ziehen. Aktiva und Passiva, Vermögen und Schulden werden gegenübergestellt. Die Gewinne und Verluste werden genau angesehen. Wer Bilanz zieht, schaut der Wirklichkeit ins Auge. Eine unverfälschte Bilanz bringt Klarheit darüber, ob das Geschäft brummt oder bockt. Wer ehrlich bilanziert, bekommt eine Orientierung was er tun und lassen sollte, um weiterhin erfolgreich unterwegs zu sein. Nicht selten kommt es dabei zu ordentlichen Überraschungen. Nicht nur im Blick auf das Finanzkapital, sondern auch in Beziehungen bis hin zur Prüfung der persönlichen Gottesbeziehung kann eine Gegenüberstellung von Ressourcen und Defiziten, [was rockt und was habe ich verbockt] für eine heilsame Neuausrichtung ganz hilfreich sein.

Im alten Jesajabuch zieht der „Hohe und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist“ (Jes 57) auf eine eigentümliche Art und Weise Bilanz mit der Untreue und Gottvergessenheit des Menschen. Dem verborgenen, schweigenden, anscheinend passiven Gott wird der menschliche Aktionismus gegenübergestellt.

Abgemüht

„Du hast dich abgemüht mit der Menge Deiner Wege und sprachst nicht: Das lasse ich; sondern du fandest ja noch Leben in deinen Gliedern, so wurdest du dessen nicht müde. Wen hast du gescheut und gefürchtet, dass du treulos wurdest und nicht an mich dachtest und es nicht zu Herzen nahmst? Weil ich schwieg und mich verbarg, hast du mich nicht gefürchtet.“ Jes 57,10f.

Vertraute Analyse

Du hast dich abgemüht! Solange noch Kraft in den Gliedern bzw. das Leben noch im Saft steht, wird geschafft. Das Schaffen als ausschließlichen Lebenssinn und -inhalt zu deklarieren, kann unter Umständen zu einer Fehldefinition der Persönlichkeit führen. Die Neigung, sich ausschließlich über die Leistung zu definieren und den Halt im Leben in dem zu suchen was wir tun, anstatt indem was wir sind, lässt den Menschen zu einem Heimatlosen werden in seinen eigenen vier Wänden. Was ist der Mensch wert ohne Leistung? Welchen Wert hat der passive Mensch, der einer aktiven Gesellschaft auf der Tasche liegt? Wer bist Du ohne Publikum? Wer sind wir, wenn Erfolge und konsequenterweise auch die Belohnungen dafür wegfallen? Eine arme Sau? Wer bin ich eigentlich in der direkten Konfrontation mit meiner eigenen geistlichen Einsamkeit? Ist das überhaupt auszuhalten oder ist das Schreien des eigenen Herzens so laut, dass die Flucht ins Exil der Ablenkung die bessere Alternative darstellt?

Das Schweigen Gottes

Kaum auszuhalten – das Schweigen Gottes. Doch da kommt dieser unausweichliche Moment in deinem und meinem Leben, wo der vermeintlich passive, abwesende Gott selbst darauf eingeht und dich & mich in unserem Aktionismus empfindlich irritiert.

Das Reden Gottes

„Weil Du die Stille nicht ausgehalten hast, deswegen hast du mich verlassen. Weil du das Schweigen und die Verborgenheit Gottes als sinnlose, distanzierte Abwesenheit fehlinterpretierst, hast du dich in die Arbeit und Mühe gestürzt, dich auf deine eigenen Kräfte verlassen und mich verlassen.“

Gottesamnesie

Wie war es eigentlich möglich, das um 1500 zu Luthers Zeiten für uns Europäer der Glaube an Gott selbstverständlich zum Leben dazugehörte und heute 500 Jahre später fällt es dem Menschen in der nördlichen Hemisphäre leicht Gott ganz aus dem Leben wegzulassen? Lässt sich das wirklich unter Aufklärung verbuchen oder leidet die überalterte Gesellschaft des reichen Nordens an Gottesdemenz?

Krank oder gekränkt?

Gottesdemenz hat es schon zu allen Zeiten gegeben, sonst wäre diese schmerzliche Analyse menschlichen Verhaltens im alten Jesajabuch für die Generationen und Gesellschaften vor uns unnötig gewesen. Gar nicht so leicht zu diagnostizieren, ob es sich hier um eine Krankheit oder eher ein gekränktes Verhalten handelt. Mag sein, dass sich diese Gottvergessenheit oder bewusst gewählte Untreue im fortgeschrittenen Stadium befindet.

Der Fuhrpark und was der Arzt dazu sagt

Wer auf dieses alte Wort hört, dem öffnet sich eine tiefe Einsicht. Das nicht erst von uns als postchristlicher Gesellschaft als Unsinn gebrandmarkte Schweigen Gottes hat einen Sinn. Die Verborgenheit Gottes hat eine tiefere Bedeutung als unsere verzerrten Deutungen. Sind die Leistungsturbogesellschaft, der schnittige Atheismus, der Volkswagen Säkularisation, der Turbo Beschleunigung, die Limousinen Fortschritt. & Technik, der Rettungswagen für das Klima, der optimierte Homo Deus … nicht letztlich Fluchtfahrzeuge bzw. Fluchtreaktionen vor dem Schweigen Gottes? Was empfiehlt wohl ein guter Arzt? Bewegung. Kommt her zu mir … nicht Fluchtaktionismus in viel zu engen Denk- und Glaubensfahrgastzellen in denen das eigene Herz vor Unbeweglichkeit verkümmert.

Wer vergisst hier wen?

Die häufigste Deutung des Schweigens Gottes und seiner Verborgenheit lautet: Gott hat mich vergessen, aber das ist völliger Blödsinn. Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vergessen könnte (was so gut wie nicht geht) ich vergesse euch nicht, lautet Gottes Versprechen (Jes 49,15). Der Mensch vergisst Gott. Die Geschichte des Menschen ist voll von den chaotischen Folgen seiner Vergesslichkeit. Gott kann sein Geschöpf nicht vergessen.

Der TÜV und das rostige Mißtrauen

Wir haben unsere bisherigen Deutungen und Erklärungen genauso dem prüfenden Blick zu unterziehen wie unsere schnittigen Fahrzeuge den regelmäßigen TÜV Untersuchungen. Wir brauchen die Fähigkeit ehrlich Bilanz zu ziehen und müssen an der einen oder anderen Stelle erkennen, wie auch menschliche Deutungen und Erklärungen von der Wirklichkeit unseres Lebens von tiefen Mängeln durchzogen sind. Vor allem – dem Mangel an Vertrauen.

Vorbilder statt Vorschriften

Was wir als Gesellschaft dringend brauchen sind Vorbilder anstatt Vorschriften. Menschen, die im Vertrauen auf ihren Schöpfer und Erlöser leben und sich von Ihm ins Leben reinschauen und reinreden lassen, auch wenn das heutzutage nicht so hip ist. Wir brauchen Vorbilder, die arbeiten und an sich arbeiten lassen, ohne in einen Gott-losen Aktionismus zu verfallen. Was wir als Gemeinschaft von Christen dringend brauchen, sind Menschen, die zutiefst wissen, dass sie von Gott in ihrem irritierten Herzen angesehen und trotzdem geliebt sind und somit in Gott verankert sind. Wir brauchen Persönlichkeiten, die auf die Verborgenheit Gottes mit Vertrauen antworten, mutige Abenteurer, die das Schweigen Gottes als eine Einladung betrachten mehr in die Tiefe zu wachsen, kreative Originale, die eine unlösbare Verbindung mit ihm eingehen. Verbindung gibt unserem Leben einen tiefen Halt.

Bleib zu Hause!

Lass dich nicht aus deinem eigenen Zuhause ins Exil treiben. Wir müssen lernen die eigene geistliche Einsamkeit auszuhalten. Mit unserem Ich klarkommen. Uns selbst aushalten. Uns von innen her wieder lenken zu lassen. Wer diese Stille des Schweigens Gottes und die Herzensschreie in dieser Stille nicht aushält, der ergreift die Flucht und schlägt letztlich seine Berufung aus. Man kann nichts ändern, dass man nicht annimmt. Hier liegt ein Schlüssel. Annehmen was zu mir gehört, um es von dem Chefkardiologen sichten zu lassen. Er prüft die oft doppelten Motive unseres Herzens. Und während er in unser Herz hineinsieht ist er still. Er mutet uns sein Schweigen zu, damit unser Herz zur Sprache kommt. Er traut uns die Stille zu, damit das Laute in uns zur Ruhe kommen kann. Er konfrontiert unsere Sehnsucht nach seiner Nähe mit seiner Verborgenheit, damit Glaube wachsen kann.

Nachsatz
„Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt.“ (Mark Twain)

 

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